Eine süße Versuchung – Wenn Kinder die virtuelle Welt für sich entdecken

Eine süße Versuchung – Wenn Kinder die virtuelle Welt für sich entdecken

Kinder feste Medien-Regeln

Stellen Sie sich vor es ist Sommer – keine Wolke ist am Himmel zu sehen, das Thermometer hat die 30-Grad-Marke geknackt und alle sind auf der Suche nach Abkühlung. Die Cafés sind voll und an den Eisdielen stehen lange Menschenschlangen. Sie als sechsjähriges Kind freuen sich schon unendlich auf Ihr Eis. Stellen Sie sich eine italienische Eisdiele vor. Es gibt unüberschaubar viele Sorten, von denen Sie noch nie etwas gehört haben, nach denen Sie sich aber gerade jetzt so sehr sehnen. Sie wählen zwei Sorten und die erste Kugel ist unglaublich lecker. Eine wahre Geschmacksexplosion. Sie schmeckt wie der pure Sommer und macht Lust auf mehr. Sie freuen sich schon ungeduldig auf die zweite Sorte. Ihre Erwartungen werden weit übertroffen. Die zweite Kugel schmeckt noch besser als die erste. Es scheint als wäre heute Weihnachten, Ihr Geburtstag und Ostern auf einen Tag – so glücklich sind Sie. 

Was würden Sie nun tun, wenn Sie wüssten, dass Sie diesen Ort nicht wieder aufsuchen könnten? Stellen Sie sich die Stimmen von Eltern vor, die sagen: „Wenn du noch eine Kugel isst, wird dir übel“  oder: „Zu viel Eis macht dir Bauchschmerzen“.  Was würden Sie tun nach diesen Erfahrungen in der italienischen Eisdiele in der Nähe des Hauses? 

Kinder brauchen klare Regeln

Die Unbeschwertheit von Kindern kann grenzenlos sein, denn sie leben im Hier und Jetzt. Für sie ist der nächste Tag unvorstellbar weit weg. Das macht es schwer, etwas aufzuschieben, das ihnen Lust und Spaß bereitet. Wenn Kinder einen Laptop oder ein Tablet anschalten, ist es wie das Öffnen der Tür zu einer italienischen Eisdiele. Die Versuchung ist groß. Wenn ein Kind erst einmal auf den Geschmack gekommen ist und leidenschaftlich gerne Eis isst, wird es immer wieder Eis essen und alle Sorten probieren wollen. Genauso verhält es sich im Internet. Hier locken Spiel, Spaß und Spannung an jeder Ecke und es besteht leicht die Gefahr, dass sich Ihr Kind in den Welten des Internets verliert. Sie sollten stets ein Auge darauf haben, wie Ihr Kind den Umgang mit Medien erlernt. Nachfolgend ein paar Tipps:

Versuche die Computerzeit zu begrenzen,  Vereinbarungen zu treffen und einen umsichtigen Umgang mit Medien zu fördern, steht dem Handlungsimpuls Ihres Kindes völlig entgegen. Die Selbststeuerungshürde benötigt Begleitung der Eltern. Übertragen auf den Medienkonsum bedeutet das: Wählen Sie einen Raum, in dem der Laptop unter Aufsicht genutzt werden darf. Die ersten Zugänge zu Medien können entspannt gemeinsam unternommen werden. Stellen Sie sich die Frage,wer den Zugang verwaltet. Nutzen Sie technische Hilfsmittel und installieren Sie ein Zeitschloss – wie für die Eistheke. 

Schaffen Sie Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit im realen Leben

Viele Kinder und Jugendliche haben das Gefühl, dass es in der realen Welt nichts gibt, das eine Alternative zur virtuellen Welt darstellt. In der virtuellen Welt als optimierte Erlebniswelt können Kinder schalten und walten wie sie möchten. Für viele Internetanbieter ist es wichtig, möglichst viele Nutzer möglichst lange zu binden. So lassen sich durch Werbeeinnahmen Verkaufszahlen generieren. In der medialen Erlebniswelt kann ich Held, Bösewicht und Freund gleichzeitig sein. Ich kann mir Kreaturen schaffen, Städte aufbauen und schnelle oder auch knifflige Ziele erreichen. Eltern, die merken, dass ihre Kinder häufig in der virtuellen Welt unterwegs sind, versuchen ihre Kinder zu überreden, doch mal wieder Fußball zu spielen, sich zu verabreden oder bieten einen Familienausflug an. Sie merken schnell, dass diese Mühe zum Scheitern verurteilt ist. Manche Kinder lassen sich, um Ärger zu vermeiden, auf diverse Vorschläge ein. Danach sitzen sie allerdings wieder vor dem Tablet. Denken Sie an die italienische Eisdiele. Eltern haben hier eine bedeutsame vorbildliche Rolle. Hilfreich ist es, den Kindern Lebenslust und Freude zu zeigen und vorzuleben, wie schön es ist, in der Natur zu sein, eine Fahrradtour oder andere schöne Aktivitäten zu unternehmen. Der mediale Umgang sollte dann gelernt werden, wenn Kinder es verstehen, sich in der realen Welt und insbesondere in der Natur, also unter freiem Himmel im Umgang mit Feuer, Wasser, Luft und Erde zurecht zu finden. Durch die Sinnesbildung entsteht Herzensbildung. Ganzheitliches Lernen findet nicht in der digitalen Welt statt; Empathiebildung noch weniger. Problemlösungsstrategien entwickeln sich nur, wenn ich Erfahrungen von Handlungsmöglichkeiten kennengelernt habe. Diese entscheidenden Kompetenzen lassen sich nicht durch ständige Mediennutzung erlernen.

Die zentralen Fragen bei intensiver Mediennutzung sollten also sein: Warum nutzt mein Kind Medien und wozu? Ist es vielleicht Stressabbau, Unterhaltung oder um Beziehungen zu Freunden zu pflegen? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, ist die exzessive Nutzung häufig eine Kompensation von nicht gestillten Bedürfnissen in der realen Welt. Viele Kinder und Jugendliche fühlen sich unzureichend oder gar nicht wahrgenommen. Einem Kind muss klar sein, wann es sich definitiv die vollständige Zuwendung einfordern darf und wann Mutter oder Vater sich zurück ziehen und ihre Zeit haben. Interessieren Sie sich für die aktuellen Bedürfnisse Ihres Kindes. Wirkliches Interesse bedeutet auch Interesse an dem Geschehen in der virtuellen Welt zu zeigen. Für die meisten Kinder und Jugendlichen ist eine positive Bindung und Beziehung zu ihren Eltern der Schlüssel raus aus der virtuellen Welt und hinein in reale und lustvolle Aktivitäten. Eltern sollten also neben der Beziehung auch ausloten, welche Möglichkeiten es gibt, ein inspirierendes Umfeld zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass Sie sich zum dauerhaften Entertainer entwickeln müssen – da Kinder ein Bedürfnis haben, sich für Dinge zu interessieren – sondern Interesse an Bedürfnissen und dem Interesse der Kinder zeigen. 

Bevor ein Mensch nicht laufen kann, sollte er nicht Fahrradfahren lernen.

Erinnern Sie sich noch daran, als Sie Fahrradfahren gelernt haben? Wir richten alles ein, um dem Kind das Fahrradfahren zu ermöglichen. Die Herangehensweise ist unterschiedlich. Viele Eltern beginnen ab dem dritten Lebensjahr das Üben mit Stützrädern, um dem Kind einen Sturz zu ersparen. Andere beginnen mit einem Roller oder Laufrad und bringen mehr Geduld mit. Man lässt das Kind auf einem begrenzten Grundstück fahren, um es kontrolliert üben zulassen. Wenn das Kind Sicherheit bekommt und sich eine Routine einstellt, dann wird das Kind auf den Gehsteig entlassen. Es wird das Überqueren der Straße geübt, Rücksicht zu nehmen und ausreichend achtzugeben, bevor man losfährt. In der Schule können die Kinder einen Fahrradführerschein erwerben, wenn sie genügend Kenntnisse über die Verkehrssicherheit nachweisen können. Niemand würde auf die Idee kommen, ein sechsjähriges Kind auf einem Erwachsenenfahrrad auf die Straße zu schicken, um die Verkehrsregeln zu erlernen. Mal sehen was passiert und wie gut er mit dem Fahrrad zurecht kommt? Nein, das wäre grob fahrlässig und absolut verantwortungslos. Wenn wir also einem Sechsjährigen ein Smartphone, Tablet oder einen PC mit unbeschränktem Internetzugang überlassen, handeln wir verantwortungslos. Vergleichen wir dieses mit dem Fahrradfahren, dann müssen wir das Kind an diese Medien heranführen, um die Kenntnisse zu erwerben für eine gewinnbringende Nutzung. Es benötigt eine enge Begleitung mit Regeln. Insbesondere ist ein Zugang über eine „Kindersuchmaschine“ zu vergleichen mit dem Tragen eines Fahrradhelms. Sollte das Kind dann verstörende Bilder oder Videos sehen, ist es immer noch für eine Kinderseele erträglich. 

Mediennutzung ist so wirksam wie Cannabis

Fehlt einem Kind das Gefühl der tiefen Geborgenheit und Anerkennung, so sucht es Kontakte in Onlinespielen, sozialen Plattformen etc. Dort erlebt sich das Kind selbstwirksam. Es kann die Dosierung nach Kommunikation steuern und erlebt entweder das Gefühl der Entspannung oder eine Verstärkung der Sinne. Das Kind ist im Hier und Jetzt und vergisst Vergangenes. Es ist in einer Art Rauschzustand, indem im Gehirn die gleichen Botenstoffe wie beim Cannabis-Konsum ausgeschüttet werden. Jedes Spiel, jedes Erfolgserlebnis, jeder positive Kontakt löst im limbischen System, dem emotionalen Zentrum im Gehirn, Glückshormone aus. Umso mehr Glückshormone durch den Internetkonsum ausgeschüttet werden, desto mehr will das Kind gleiches und noch mehr davon erleben. SUCHT!  „Aber was sucht ein junger Mensch in der Welt? Er sucht nach Intensität, nach dem Gefühl, das Leben mit ganzer Macht spüren zu können. Er sucht nach Momenten, in denen nichts wichtiger ist als der Augenblick selbst – in denen nicht zählt, was gestern war und morgen kommt. Wenn er schon viele Enttäuschungen und Verletzungen erlebt hat, sucht er außerdem nach Linderung dieses Schmerzes – nach Ablenkung und neuem Selbstwert (Scholz 2016: 39). 

Abschließend möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben, dass Sie Ihr Kind beim anfänglichen Medienkonsum stets begleiten sollten. Schauen Sie hin, was Ihr Kind im Internet macht, welche Spiele es spielt und zu welchen Personen es Kontakt aufnimmt. Agieren Sie als Ansprechperson bei Problemen, Fragen und geben Sie Hinweise zum Umgang. Seien Sie sich stets bewusst, dass ein Kind den Umgang mit Medien und dem Internet erst erlernen muss, bevor es sich sicher in den endlosen Weiten des Webs bewegt. Mit klaren Regeln können Sie Grenzen aufzeigen und Anreize schaffen, sodass sich Ihr Kind auch in der realen Welt zuhause und wohl fühlt.

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