Psychisch stark durch den Kita-Alltag
Simone hat es nicht leicht und dabei macht ihr ihr Job so viel Spaß. Als Erzieherin arbeitet sie in ihrem Traumberuf. Jeden Tag von vielen Kindern umgeben zu sein und sie in ihren ersten Jahren zu begleiten – das hat sie sich immer gewünscht. Doch die täglichen Aufgaben in der Tagesstätte zerren zunehmend an ihren Nerven.
Erzieherinnen und Erzieher sind in ihrem Alltag einer Vielzahl physischer und psychischer Belastungenausgesetzt. Schlechte strukturelle Rahmenbedingungen und in deren Folge Rückenprobleme, Infektionskrankheiten und Burnout sind daher in dieser Berufsgruppe keine Seltenheit.
Die Gesundheit der Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen in Deutschland scheint leider zunehmend in Gefahr zu sein. Erzieher und Erzieherinnen fallen häufig aufgrund von Krankheit aus. Zudem beeinflussen die physischen wie psychischen bzw. mentalen Belastungen auch die Qualität der Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder in den Einrichtungen.
Von enormer Wichtigkeit ist es, die Gesundheit der Fachkräfte ernst zu nehmen, denn schließlich beeinträchtigen die Belastungen zumindest indirekt auch die Arbeitsfähigkeit der Eltern und erhöhen die Zahl der Kinderkrankentage. Die gesundheitliche Belastung von Beschäftigten in einem gesellschaftlichen Schlüsselberuf stellt nicht nur ein bildungs-, sondern auch ein gesundheitspolitisches Problem dar, welches mit enormen Kosten verbunden ist.
Und immer mehr Fehltage
Bereits eine Studie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2014 zeigt einen erhöhten Krankenstand bei Erzieherinnen und Erziehern. Demnach kommt diese Berufsgruppe auf durchschnittlich 18,9 Fehltage pro Jahr. Der allgemeine Mittelwert über alle Berufsgruppen lag in dieser Umfrage bei 14,9 Tagen. (Quelle:https://www.aerztezeitung.de/Politik/Erzieher-sind-besonders-oft-krank-247175.html)
Zehn Jahre später gibt es laut DAK Psychreport 2024 einen erneuten Höchststand bei psychisch bedingten Fehltagen im Job. Der Arbeitsausfall wegen Depressionen, Belastungsreaktionen und Ängsten hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Als eine Berufsgruppe sind Erzieher besonders belastet. Erzieher, Sozialpädagogen und Theologinnen sowie Fachkräfte in der Altenpflege hatten 2023 mit 534 bzw. 531 Tagen je 100 Versicherte die meisten AU-Tage. (Quelle: https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2024_57364)
Auch Simones Krankentage häufen sich. Sie fühlt sich überlastet und kraftlos. Zunehmend fällt es ihr schwer, morgens in die Gänge zu kommen und sich auf ihren Tag in der Kita zu freuen. Schon auf der Fahrt kreisen ihre Gedanken nur um ein Thema: Welche Probleme werden heute wieder auf sie zukommen? Wie lange schafft sie das noch? Bei ihrem Arzt hat sie die Problematik noch nicht angesprochen.
Psychische Belastungen
Vor allem chronische Erkrankungen nehmen im Laufe des Berufslebens zu und erschweren den Alltag für die pädagogischen Fachkräfte. Neben den physischen Belastungen der täglichen Arbeit in Kitas sind es oft auch der fehlende Handlungsspielraum und festgefahrene, veraltete Abläufe, die zu gesundheitlichen Problemen bei Erzieherinnen und Erziehern führen.
Erzieher und Erzieherinnen sind mit vielfältigen Anforderungen konfrontiert, die sie manchmal überfordern und Stressreaktionen auslösen.
Psychisch belastend wirken:
- Personalmangel
- Zeitdruck
- fehlende soziale Unterstützung bzw. Anerkennung
- mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten
- hoher Erwartungsdruck
- Mobbing
- schlechte Bezahlung
- allgemeine Unzufriedenheit
- Gleichzeitigkeit vieler Aufgaben
Auf der anderen Seite ist die Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf bei pädagogischen Fachkräften im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sehr hoch. Die Arbeit mit den Kindern wird von Erzieherinnen und Erziehern als wertvoll und sinnstiftend empfunden. Die Rahmenbedingungen wie die Ausstattung der Kitas und Kindergärten, die Lärmbelastung und der Personalschlüssel werden allerdings in vielen Fällen als Belastung empfunden.
Der Schlüssel zum Glück – der Personalschlüssel
Der Personalschlüssel ist sicher einer der größten Belastungsfaktoren, die die tägliche Arbeit erschweren. Ausfälle durch Krankheit oder Fortbildungen können den bereits eng bemessenen Personalschlüssel schnell an seine Grenzen bringen.
Die Zeit für Aufgaben im Bereich der Organisation und Dokumentation wird für die Leitung und die pädagogischen Fachkräfte in den Gruppen zu einem großen Stressfaktor. Hinzu kommen schwierige Elterngespräche, die seit der zunehmenden Verschulung des Kindergartens und gestiegener Ansprüche an die Kinder oft ganz neue Dimensionen annehmen können. Angehäufte Überstunden und das Gefühl ausgebrannt zu sein, können die Folge sein.
Gemeinsam sind wir stark
Die Frage ist nun, wie gegen die Belastungen gewirkt werden kann, um Fachkräfte intensiv zu stärken. Um psychischen Belastungen vorzubeugen, ist es wichtig, eigenen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Eine offene Kommunikation zwischen Erzieherinnen und Erziehern, der Leitung und des Trägers ist hier das A und O. Ein angepasster und ausgewogener Personalschlüssel ist einer der wichtigsten Faktoren, die zur Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beitragen.
Wichtig ist zudem das regelmäßige Prüfen von Tagesabläufen, Dienstplänen und Sonderaufgaben, um einen Überblick über mögliche Engpässe zu erhalten. Dazu gehört natürlich auch die kritische Auseinandersetzung mit Problemen im Team.
Simone hat sich ein Herz gefasst. Sie hat sich überwunden und ihre Ängste offen bei Kollegen und der Kitaleitung angesprochen. Anfangs hatte sie noch das Gefühl, auf Ablehnung zu stoßen, doch nach und nach öffnen sich auch die anderen Mitarbeiter. In Gesprächen stellen sie Gemeinsamkeiten fest und sie merken schnell, dass eine Harmonie im Team sowie das Fühlen und Priorisieren der eigenen Bedürfnisse sehr wichtig sind. Eine optimierte Organisation in der Wochenplanung, auch wenn daraus nur kleine freie Zeitfenster entstehen, kann eine große Wirkung auf das allgemeine Wohlbefinden aller haben.
Die Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit verbessern
In Kindergärten gilt natürlich genauso wie in anderen Einrichtungen das Arbeitsschutzgesetz. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten zu sorgen. Die Angestellten unterstützen den Arbeitgeber nach ihren Möglichkeiten und folgen seinen Anweisungen. Hier kommt die Gefährdungsbeurteilung zum Tragen. Auf der Grundlage der Beurteilung wird festgestellt, welche Gefährdungen in der Kita bestehen. Diese sollten möglichst an ihrer Quelle beseitigt werden.
In sozialen Tätigkeitsfeldern ist dies teilweise nur bedingt erreichbar. Daher müssen die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass sie weniger gefährlich oder schädlich für die Gesundheit der Beschäftigten sind. Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Gesundheitsförderung sind eng mit dem Qualitätsmanagement und der pädagogischen Konzeption der Einrichtung verknüpft.
Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz umsetzen
Die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung bietet einen Überblick über die psychischen und körperlichen Gefährdungen in der Kita. Nach der Erhebung entscheiden Träger, Leitung und Beschäftigte gemeinsam, wie sie Gefährdungen einschätzen und welche Arbeitsbedingungen verbessert werden sollten. Dabei können der betriebsärztliche und sicherheitstechnische Dienst sowie die Unfallversicherungen helfen.
Für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gibt es Anleitungen bzw. Checklisten von verschiedenen Organisationen, z. B. der bgw check „Gefährdungsbeurteilung in der Kinderbetreuung“ der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). In jeder Einrichtung sollte zudem ein Sicherheitsbeauftragter ernannt sein. Um das ganze Team in den Prozess einzubeziehen, eignen sich außerdem Gesundheitszirkel.
Der Gesundheitszirkel
Gesundheitszirkel sind temporäre betriebliche Problemlösegruppen, die das Erfahrungswissen der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen. Sie haben das Ziel, arbeitsbedingte Beschwerden und deren Ursachen abzubauen, um die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern. Angeleitet von einer Moderatorin bzw. einem Moderator werden in den Sitzungen Belastungsfaktoren gesammelt, für die dringlichsten Probleme Lösungsmöglichkeiten besprochen und für diese schließlich Umsetzungskonzepte entwickelt. Um die Nachhaltigkeit der Maßnahmen des Gesundheitszirkels zu gewährleisten, sollten diese in Absprache mit Entscheidungsträgern geplant werden.In Simones Kindergarten wurde nun auch ein Gesundheitszirkel eingeführt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen erarbeitet sie darin alle Problemlagen und Belastungen, die ihnen täglich begegnen. Ein gutes Stück Arbeit liegt noch vor ihnen. Doch sie wissen, dass es sich lohnt, alle Faktoren zusammenzutragen und erfolgreich anzugehen. Das Kollegium ist froh über die Möglichkeit, die ihnen damit von der Kitaleitung eingeräumt wurde. Der Teamgedanke und die Arbeitsbedingungen stehen nun wieder zunehmend im Vordergrund.